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Werner Richard Heymann (1896-1961):
"Das gibt's nur einmal..."

Erstaufführung:

Konzert von musica reanimata am 15. September 2011 im Musikclub des Konzerthauses am Gendarmenmarkt
Elisabeth Trautwein-Heymann im Gespräch mit Winfried Radeke.

Interpreten:
Maria Thomaschke und Andreas Jocksch - Gesang, Texte
Nikolai Orloff - Klavier
Olaf Taube - Vibraphon, Schlagzeug
Volker Suhre - Kontrabass
Winfried Radeke - Arrangements, Moderation und Konzeption

Programm:

Das LeibregimentKurt Tucholsky
Der UmzugLeo Heller
mp3KellerleuteLeo Heller
mp3An den KanälenWalter Mehring
Die KnöpfelschuheLeo Heller
Der GlockenturmKlabund
mp3Die älteren JahrgängeRobert Gilbert
Mit'n ZoppKlabund
O hätt ich doch mein Kind verkauftRobert Gilbert
Die große SensationWalter Mehring
mp3Die KälteWalter Mehring
SchattenfoxHans Brennert
Heut gefall ich mirRobert Gilbert
Ach MaxeArmin Robinson
mp3Des Huhnes MorgengesangWalter Mehring
Arie der großen Hure PresseWalter Mehring
Irgendwo auf der WeltRobert Gilbert

"Das gibt's nur einmal..."

Werner Richard Heymann zum 50. Todestag (30.5.1961)
von Winfried Radeke

"Sie kennen mich nicht, aber Sie haben schon viel von mir gehört...", so sagte Werner Richard Heymann gerne über sich. heute müsste man ergänzen: "...wenn auch Sie ein Fan der UFA-Filme der 30er Jahre sind". Ein paar Titel gefällig? Bitte sehr:

  • Du bist das süßeste Mädel der Welt ("Liebeswalzer" 1930)
  • Ein Freund, ein guter Freund
  • Liebling, mein Herz lässt dich grüßen ("Die Drei von der Tankstelle" 1930)
  • Das ist die Liebe der Matrosen
  • Wenn der Wind weht über das Meer ("Bomben auf Monte Carlo" 1931)
  • Du hast mir heimlich die Liebe ins Haus gebracht ("Ihre Hoheit befiehlt"1931)
  • Das gibt's nur einmal, das kommt nicht wieder
  • Das muss ein Stück vom Himmel sein ("Der Kongreß tanzt" 1931)
  • Einmal schafft's jeder
  • Irgendwo auf der Welt ("Ein blonder Traum" 1932)
  • Hoppla, jetzt komm ich
  • Es führt kein andrer Weg zur Seligkeit ("Der Sieger" 1932)

Dies also als kleine Auswahl Heymannscher Filmschlager, die damals überall gesungen wurden. Schon bei dieser kurzen Aufzählung wird aber auch etwas anderes deutlich: Die genannten Schlager haben eine griffige und einprägsame Titel-Botschaft (im Fachjargon: Devise), und dafür zeichnete sich in fast allen Fällen der kongeniale Textdichter mit verantwortlich: Robert Gilbert (1899 in Berlin geboren, 1933 in die USA emigriert), er gehört zu Heymanns Liedern einfach dazu.

Interessant an Heymanns Vita ist, dass er anfangs viele Jahre den Beruf eines "seriösen" Komponisten, also "E-Musikers", anstrebte und - das ist das Überraschende - auch durchaus erfolgreich war. Seine frühen Werke wurden gedruckt und auch von namhaften Interpreten aufgeführt! Wie kam dann die Wende zur "U-Musik" zustande?

Werfen wir zunächst einen Blick auf die vier Schaffensperioden Heymanns:

  • 1896-1923 Königsberg - Berlin: E-Musik - Stummfilmmusik - Chansons
  • 1923-1933 Berlin: Generalmusikdirektor und UFA-Filmkomponist
  • 1933-1951 Paris - Hollywood: Musicals und Filmmusik
  • 1951-1961 München: Versuch eines Neubeginns in Deutschland

Im Folgenden sind die eingerückten und in Anführungszeichen gesetzten Texte Zitate aus W. R. Heymanns Autobiografie "Liebling,mein Herz läßt dich grüßen..." die er 1958 diktierte (Hrsg. Hubert Ortkemper Henschel-Verlag 2001).

"Als ich 1896 geboren wurde, war mein Vater schon 46 Jahre alt, meine Mutter 41. Ich war das letzte von sieben Kindern und kam ganz unverhofft. Mein ältester Bruder Paul wurde schon 1876 geboren, etwa ein Jahr nach der Hochzeit meiner Eltern. Dann kamen mein Bruder Walther, der Dichter, Hans, der Kaufmann, Kurt, der Doktor der Medizin. Zwei Geschwister, Felix und Pauline, sind als Kinder gestorben, ich habe sie nicht mehr gekannt."

W. R. Heymanns Vater war ein Großkaufmann in Sachen Getreide und Hülsenfrüchte. Er war wohlhabend und im Gesellschaftsleben Königsbergs hoch angesehen. Er schrieb als Amateur Gedichte und komponierte Lieder. Im Krieg 1870/71 hatte er als Offizier gedient und war in seiner Grundhaltung "erzkonservativ".

"Meine Mutter war eine hübsche, elegante, dabei aber stattliche und gebieterische Frau. Sie ging immer vollkommen aufrecht, war stets sehr gut angezogen."

Mit drei Jahren bekam der kleine Werner Richard eine große Trommel mit Becken zum Umhängen. Seine Mutter spielte auf dem Klavier Märsche oder Tanzmusik und er schlug den Takt dazu. Mehr aber interessierte er sich für das Klavier, er probierte selbst Lieder nachzuspielen. Mit sechs Jahren erhielt er ein französisch sprechendes Kinderfräulein und seinen ersten Musikunterricht. Es waren hauptsächlich französische Kinderlieder von Èmile Jaques-Dalcroze, der später durch seine "Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus" in Hellerau bei Dresden berühmt wurde. Da der große Bruder Kurt Violoncello spielte, musste Werner Richard Geige lernen. Trotzdem spielte er, so oft es ging, lieber auf dem Klavier.
Das jüdische Elternhaus war konservativ aber keineswegs orthodox. Werner Richard wurde nicht beschnitten und als Achtjähriger sogar getauft.

"Ich habe von der Taufe nie Gebrauch gemacht, und Herrn Hitler hat sie später auch nicht interessiert."

Schon mit sieben Jahren kam Werner Richard ins Gymnasium, und zwar ins Friedrichskollegium, dem ältesten preußischen Gymnasium neben dem Grauen Kloster in Berlin. Hier erlebte das Kind sadistische und prügelnde Lehrer und das Eintrichtern von Wissensstoff an Stelle einer gut geführten Entwicklung. In seiner Selbstbiografie weist Heymann auf Heinrich Manns "Professor Unrat" hin: "es war wirklich so".

"Für das Musikleben der Stadt Königsberg sorgten vor allen Dingen zwei Institutionen: das Stadttheater und das Philharmonische Orchester. Das Orchester stand unter der Leitung von Max Brode, einem nicht mehr ganz jungen, aber ausgezeichneten klassischen Musiker, der ein Zeitgenosse von Hermann Levi, Felix Mottl und den anderen, um Richard Wagner versammelten Dirigenten war. (...) Wagner wurde eigentlich von den Königsberger Philharmonikern nicht ganz für voll genommen. Der Höhepunkt moderner Musik war Brahms."

Der zarte und stets kränkelnde Junge las "unendlich viel" und lernte neben dem Schulstoff, so viel er nur konnte, Musik.

"Mir ist so, als ob ich immer nur gelesen hätte oder am Klavier saß, phantasierte und auch sehr bald komponierte".

Werners Dichter-Bruder Walther Heymann versorgte den kleinen Bruder mit Gedicht-Anthologien, die ihn somit schon früh mit Lyrik vertraut machten. Besonders beeindruckten ihn die Gedichte von Richard Dehmel und Rainer Maria Rilke, die er später auch vertonte.
Ein wichtiger Einschnitt war die Begegnung mit dem Komponisten und Dirigenten Paul Scheinpflug (1875-1937), der für 4 Jahre Chefdirigent des Philharmonischen Orchesters Königsberg war. Bei ihm nahm der 13jährige Unterricht in Harmonielehre und Instrumentation.
Zum ersten Mal hörte er etwas von Debussy und Richard Strauss. Er durfte sogar bei den 2. Geigen des Philharmonischen Orchesters mitspielen. Ein einschneidendes Erlebnis war es, die 2. Symphonie Gustav Mahlers aus dieser Perspektive zu erleben!
1908 starb der Vater. Er hinterließ wohlgeordnete finanzielle Verhältnisse, sodass für den angehenden Musiker alles so weitergehen konnte wie bisher.

Als 1910 Richard Strauss nach Königsberg kam, bat Werner Richard seinen Lehrer, ihn dem Komponisten vorzustellen. "Dann werde erst mal etwas, mein Junge!", sagte der, worauf der Angesprochene gekränkt erwiderte: "Dann brauche ich Sie nicht mehr, Herr Scheinpflug."
Sollte diese kühne Replik des 14jährigen tatsächlich so gefallen sein, so ist sie der Beweis eines frühen und gesunden Selbstbewusstseins, aber auch schon berlinischer Schlagfertigkeit.
1912 übersiedelte Werner Richard mit seiner Mutter und den drei Brüdern - nach Berlin.

"Die Stadt Berlin bot eine unglaubliche Fülle von Anregungen. Ich glaube kaum, dass damals irgendeine Stadt Europas eine so reiche Palette von hervorragenden und richtungsbestimmenden künstlerischen Ereignissen aufzuweisen hatte wie Berlin. Es gab die herrlichen Inszenierungen von Otto Brahm, Viktor Barnowsky, und vor allen Dingen von Max Reinhardt. Es gab die wunderbare Oper, die herrlichen philharmonischen Konzerte unter Nikisch, die Museen und die immer wieder anregende Sezession..."

Im Haus der Heymanns verkehrten u.a. die Maler Max Pechstein und Erich Heckel. Der Dichter Richard Dehmel war oft zu Gast. Werners neuer Musiklehrer war nun der gestrenge Paul Juon, bei dem er es nicht lange aushielt. Lieber ging er mit seinem Bruder Kurt ins Café des Westens am Kurfürstendamm. Hier lernte er die Dichter der Zeit Erich Mühsam, Alfred Wolfenstein, Else Lasker-Schüler oder Herwarth Walden, den Herausgeber der Zeitschrift "Der Sturm" kennen.
Zu Hause wurde jedoch weiterhin komponiert, vor allem Lieder und ein Orchesterwerk, die Musik zu einer Pantomime (die er später vernichtete).
Als der junge Komponist 17 Jahre war, starb die Mutter, was für ihn ein Schock war, zudem keiner seiner Brüder bei den Formalitäten der Einäscherung in Hamburg (in Preußen waren zu dieser Zeit Feuerbestattungen noch verboten) behilflich oder zugegen waren. Die Folge war ein schwerer Nervenzusammenbruch, der durch eine mehrwöchige Erholungsreise nach Nizza geheilt werden konnte. Da Werner Richard durch seine lange Abwesenheit in der Schule sein Abitur nicht im gleichen Jahr ablegen durfte, verließ der die Anstalt, um sich für ein externes Abitur bei einem gewissen Dr. Krassmöller vorzubereiten. Als Assistent des Herrn Krassmöller arbeitete ein 23 jähriger Mann namens Kurt Tucholsky, eine Bekanntschaft mit Folgen... Eine andere "Bekanntschaft mit Folgen" machte er im Café, es war der junge Komponist und Pianist Friedrich Hollaender.

1914 meldet sich im allgemeinen Kriegstaumel der große Bruder Walther Heymann, der Dichter, freiwillig zum Militär. Schon 1915 wird er bei einem Sturmangriff in Frankreich erschossen. Werner vertont als Referenz vier seiner Gedichte als Vier Lieder op. 7, die erst 1919 bei Weinberger erscheinen. (Seine erste gedruckte Komposition Drei Lieder op. 1 auf Texte von Klabund und Rainer Maria Rilke war 1917 beim gleichen Verlag erschienen)

Als Werner erfährt, dass seine Jugendfreundin Lo Schumacher, aus Insterburg vertrieben, nun in Halle an der Saale lebte, meldet er sich auch als Kriegsfreiwilliger zum 75. Artillerieregiment, das in Halle stationiert war. Zwischendurch macht er noch das "Notabiturium" in Berlin.

"Die letzten Tage beim Militär in Halle verbrachte ich in einem Hospital, in dem die ersten Opfer von der Front einrollten. Der Anblick dieser blutigen und zerschundenen Menschen, die in fürchterlichem Zustand in Tragbahren aus den Zügen herangeschleppt wurden, war für mich eine einzige grauenhafte Propaganda gegen den Krieg. Als ich nach Berlin zurückkam, traf ich meinen Freund Johannes R. Becher wieder, mit dem ich meine Erlebnisse diskutierte.

Im Winter 1915 erhielt Heymann einige Tage Urlaub, um die Uraufführung seines Frühlings-Nottorno für kleines Orchester durch das Blüthner-Orchester unter der Leitung von Paul Scheinpflug zu erleben. Den Beifall des Publikums nahm er in einer Kavallerieuniform mit Säbel entgegen. Nun suchte der Komponist den Kontakt zum Verleger Josef Weinberger in Wien. Der Besuch war erfolgreich, und als erstes Werk Heymanns erschien sein Frühlings-Notturno 1917 in der Edition Weinberger, Leipzig. Doch bis dahin war noch eine bittere Hungerzeit in Wien zu durchstehen. Unverdrossen schrieb er an seiner Rhapsodischen Sinfonie, die dann 1918 im gleichen Verlag erschien. Richtungsweisend mag eine Empfehlung des Verlegers gewesen sein, sich eine Aufführung der Csardasfürstin von Emerich Kálmàn anzuhören.

"Auf Weinbergers Drängen hörte ich mir eines Tages Die Csardasfürstin an. Und war, ehrlich gesagt, hingerissen. Es war wunderschöne Musik, die aus dem Volk kam, auf mich völlig echt wirkte und mir von der leichten Musik eine wesentlich andere Vorstellung beibrachte als die, die ich bis dahin gehabt hatte. Ich hatte mit maßloser Verachtung auf die sogenannte heitere Muse herabgesehen, wurde aber jetzt von ihr absolut fasziniert..."

Nach dem Ende des 1. Weltkrieges zog Heymann wieder nach Berlin. Er wurde Mitglied im Rat geistiger Arbeiter, eine private Gründung linker Intellektueller. Am 15.12.1918 erlebte er in Wien die Uraufführung seiner Rhapsodischen Sinfonie unter Felix Weingartner. Wieder in Berlin machte er die Bekanntschaft mit Walter Mehring und Walter Hasenclever. Für die Uraufführung Ernst Tollers Stück Die Wandlung schrieb er eine auch von Alfred Kerr hochgelobte Bühnenmusik.

"So kam ich in die Kreise des modernen Theaters hinein. Daneben verfolgte ich mit großer Energie eine Aufführung meiner Sinfonie in Berlin. Schließlich gab es in Europa zu dieser Zeit zwei musikalische Hauptstädte, Wien und Berlin.

Große Hoffnungen setzte Heymann auf die Uraufführung von Georg Kaisers Europa am großen Schauspielhaus, zu dem er eine 45 Minuten lange Bühnenmusik geschrieben hatte. Große Namen auf der Bühne: Heinrich George, Alexander Moissi, Werner Krauß, Roma Bahn, als Dirigent des 45 Mann starken Orchesters stand Klaus Pringsheim am Pult. Trotzdem endete der Abend in einem handfesten Bühnenskandal, Europa wurde nie wieder aufgeführt, die Musik ist verloren gegangen.

Für Heymanns Karriere war das Ereignis jedoch von großer Bedeutung. Max Reinhardt übertrug ihm die musikalische Leitung seines Kabaretts Schall und Rauch (zusammen mit Friedrich Hollaender). Nun lief sozusagen alles von selbst: Lieder für Rosa Valettis Cabaret Größenwahn und Die Rampe, 1921 bis 1923 musikalischer Leiter von Trude Hesterbergs Kabarett Die wilde Bühne und schließlich Nachfolger von Ernö Rapée (u.a. dem Schöpfer von Charmaine) als Generalmusikdirektor aller Stummfilmorchester der UFA.

Trude Hesterberg war die Hauptinterpretin von Heymanns Kabarett-Liedern, doch sie hatte ihn schon 1914 kennen gelernt, wie sie in ihrer Autobiografie Was ich noch sagen wollte... (Henschelverlag Berlin, 1971) schreibt:

"Wir saßen, brotlos geworden, in den Cafés herum, und plötzlich stand auf dem winzigen Podium (...) eine junge hübsche Dame und sang ein paar kleine Lieder, die allerdings mit Chansons noch wenig zu tun hatten. Das müsstest du auch mal versuchen, sagte ich mir. Da gab es so einen blutjungen, verhungert aussehenden Musikus, der hieß Werner Richard Heymann.(...) «Sagen Sie», sprach ich ihn an, «können Sie mir nicht mal zwei solcher Liedchen komponieren? Ich sage auch ihren Namen, wenn ich auftrete, und wenn ich Erfolg habe, zahle ich Ihnen auch was. Nur jetzt im Moment bin ich pleite»".

Für Heymann war das Kabarett, wie er sagte, "ein sehr angenehmer Nebenerwerb". Auch wenn er zugeben musste, am Anfang von Chansons keinerlei Ahnung gehabt zu haben. Das ist kein Wunder, denn das Genre war ja gerade erst am Entstehen. Wenn wir heute den Begriff Chanson gebrauchen, stehen vor unserem geistigen Auge die fertigen "Klassiker" von Benatzky oder Hollaender. Aber auch die hatten damals erst ihren Anfang.

Als literarische Leiter von Schall und Rauch agierten Kurt Tucholsky und Walter Mehring. Die Verse, die Heymann zu vertonen hatte, kamen ihm sehr modern und ungewohnt vor, er hatte es bislang mit ganz anderer Lyrik zu tun gehabt.

"Ich fing an, mir den Kopf zu zerbrechen, was eigentlich macht Kabarett aus? Kabarett ist die Sehnsucht, sich selbst einmal auf den Kopf zu steigen oder ganz anders zu sein, oder Menschen zu schildern, die ganz anders sind, oder anderen Leuten auf den Kopf zu steigen - das ist dann meistens politisches Kabarett.

Heymanns eigentliches kompositorisches Trachten ging noch immer Richtung E-Musik. So schrieb er während eines dreimonatigen(!) Urlaubs ein Streichquartett, das vier Professoren des Mozarteums Salzburg am 26.6.1921 im Hause Stefan Zweigs aufführten. - Das hört sich alles ein wenig wie im Märchen an, große Namen ohne Ende, wenn man Heymanns Autobiografie liest. Der erste Geiger des Professorenquartettes hieß übrigens Bernhard Paumgartner, auch nicht gerade unbekannt.

Im September 1921 eröffnete Trude Hesterberg ihr Kabarett Die Wilde Bühne im Keller des Theater des Westens. Die musikalische Leitung teilten sich wieder Heymann und Hollaender, doch sie wollten lieber komponieren und suchten einen Pianisten, der für sie Abend für Abend spielte. Sie fanden ihn in Mischa Spolianski. Die Texter der Wilden Bühne waren Tucholsky, Klabund, Walter Mehring und Leo Heller. Letzterer verfasste seine Gedichte im Berliner Dialekt, nachzulesen im Bändchen "Aus Pennen und Kaschemmen - Lieder aus dem Norden Berlins". Sie bilden gewissermaßen das Gegenstück zu den "Liedern eines armen Mädchens", die Friedrich Hollaender für Blandine Ebinger verfasste und zusammen mit ihr aufführte, auch in der Wilden Bühne.

Interessant ist der Werdegang des Dichters Walter Mehring (1896-1981). Seine ersten Lieder fürs Kabarett sind hoch expressionistische Gebilde, die auch den Weg in die E-Musik finden könnten, z.B. Die Kälte, zu der Heymann eine Musik findet, die seltsam unentschlossen zwischen E und U balanciert. Während - das andere Extrem - im Lied Arie der großen Hure Presse schon eindeutig ein Schuss Agitation im Spiel ist, schon im Titel klingt ja ein bisschen der große BB an, und richtig: Bertold Brecht war auch Gast in der Wilden Bühne, zu einer Zeit, in der er noch gänzlich unbekannt war. Im November 1921 war er nach Berlin gekommen, um einen Verleger für sein Stück "Trommeln in der Nacht" zu finden und landete schließlich bei Trude Hesterbergs Etablissement. Er sang zur Gitarrenbegleitung seine Ballade von Jakob Apfelböck und schließlich Die Ballade vom toten Soldaten. Sein Auftritt endete in einem wüsten Tumult und musste abgebrochen werden. Walter Mehring trat, so erzählt man sich, vor den Vorhang und sprach "jene bedeutsamen Worte" (mitgeteilt in Trude Hesterbergs Autobiografie):

«Meine Damen, meine Herren, das war eine große Blamage, aber nicht für den Dichter, sondern für Sie! Und Sie werden sich noch eines Tages rühmen, dass Sie dabei gewesen sind!»

Auch andere Protagonisten des deutschen Kabaretts machten bei Trude Hesterberg ihre ersten Bühnenerfahrungen: Joachim Ringelnatz, Kate Kühl, Annemarie Hase. Ringelnatz sang natürlich seine eigenen Texte, die Kühl und die Hase gehörten bald neben der Hesterberg zu Heymanns bevorzugten Interpretinnen.

"Die monatlich wechselnden Programme hatten manchmal bis zu zwanzig von mir komponierte Nummern, die aber nicht nur komponiert, sondern mit den Dichtern und Trude Hesterberg besprochen, mit den Darstellern einstudiert, auf der Bühne ausprobiert und schließlich von mir begleitet werden mussten. Es war für alle Beteiligten eine sehr anstrengende Tätigkeit. Mein Gehalt war minimal, und auch Trude Hesterberg dürfte an der Wilden Bühne nicht viel verdient haben, eher hat sie noch von eigenem (...) Geld dazugebuttert."

Hinzu kam dann noch Inflation und allgemeiner Währungsverfall. Die Honorare wurden schließlich nicht mehr in Mark, sondern durch den Gegenwert einer festgelegten Zahl von Eintrittskarten bestimmt. So erhielt Heymann zweieinhalb vordere Plätze der teuersten Kategorie. Das entsprechend ausgehändigte Honorar musste am nächsten Morgen in Naturalien verwandelt werden, da ab 12 Uhr der neue Dollarkurs herauskam...

Im Herbst brannte während eines Gastspieles außerhalb Berlins die Wilde Bühne ab. Nach den unermesslichen Schätzen, die in der kurzen Zeit hier gehoben wurden müsste man annehmen, dass Heymann am Boden zerstört sein müsste. Es schien aber zu seinem positiven Naturell zu gehören, immer wieder neue, und nun noch bessere Aufgaben übernehmen zu können: Theatermusik zu Wedekinds Franziska mit Tilla Durieux. Hier hatte Heymann mit einem kleinen Orchester seine Bühnenmusik zu leiten.

1923 begann Heymanns Karriere beim Film. Er erhielt einen Anruf von Erich Pommer, der damals Stummfilme am laufenden Band produzierte, er wünschte sich die Musik schon während der Dreharbeiten, also quasi Improvisationen des anwesenden Komponisten, welche dann bei der Aufführung des Filmes mit Orchestern live zu spielen waren.
Schließlich wurde jene "Stimmungsmusik" während der Dreharbeiten sogar erweitert, sodass ein kleines Orchester die Schauspieler bei ihren stummen Gesten unterstützte, ein für uns heute verschwenderisch anmutender Personalverschleiß.
Doch waren in der Filmbranche damals die USA das Maß aller Dinge. In New York spielte im Roxy von Ernö Rapée ein Neunzig-Mann-Orchester live zu den Filmen. Dazwischen Auftritte von einem ebenso großem Ballett, davor oder danach noch Varieté. Also nicht nur "der Mann am Klavier", wie wir uns das heute vorstellen. Auch in Berlin versuchte man nun ähnliche Proportionen, die irgendwie noch ein wenig an den Zirkus erinnern. Rapée transportierte seine amerikanischen Erfolge nach Berlin, er war hierher mit einer Gage von 600 Dollar die Woche gelockt worden. Heymann sollte sein Assistent sein, und er erlebte mit dem Einfall der Amerikaner im Hotel Adlon einen Geschmack von Hollywood. Der Filmkaufmann und Theateragent Samuel Rachmann besaß Rechte an über 1000 amerikanischen Filmen für den Export. Seine Agentur schloss Verträge mit deutschsprachigen Autoren wie Gerhart Hauptmann, Arthur Schnitzler, Franz Lehár, Heinrich Mann oder Stefan Zweig. Darüber hinaus engagierte er Max Reinhardt für Inszenierungen in den USA.

Bei den Musiken zu den Stummfilmen hatte man sich zu einer eigentümlichen Praxis vorgearbeitet, es gab sogenannte Kinomusiken, die in einer gigantischen Bibliothek nach dem Alphabet geordnet waren, also z.B. A wie Adagio, Alpin, G wie grausam, grotesk usw. Die "Takes", wie man heute sagen würde, waren wild zusammen geklaut. Meister auf diesem Gebiet war Giuseppe Becce, der eine zehnbändige Sammlung von Musikarrangements zur Begleitung typischer Situationen und Stimmungen zusammengestellt hatte.

1926 verließ Rapée Berlin und übergab mit der Musik zu Murnaus "Faust"-Film Heymann das alleinige Szepter, er war hiermit "Generalmusikdirektor der UFA". Es war aber nicht nur der UFA-Palast, sondern

"ungefähr 120 zusätzliche Theater, die ich mit Musik zu beliefern hatte und deren gesamtes Orchesterpersonal mir jetzt unterstand."

Die Uraufführung von Murnaus "Faust" mit Emil Jannings und Camilla Horn fand am 14. Oktober 1926 statt. Laut Pressemitteilung "Musik von Werner Richard Heymann, mit Chorgesang, oratoriumhaft, festspielmäßig, Weltstadtsache". Etwas trockener die Informationen zu dieser "festspielmäßigen" Musik von ihrem Komponisten selbst:

"Das Glück wollte es, dass in dieser Zeit die Universal Edition Bearbeitungen einiger Werke von Richard Strauss, Gustav Mahler und Anton Bruckner herausbrachte, die ich im Film herrlich verwenden konnte. Ich werde nie das geradezu verzauberte Gesicht von Rapée vergessen, als er zu einer bestimmten "Reigen"-Szene mich den 2. Satz der 2. Sinfonie von Mahler spielen hörte."

Werner Richard Heymann war ab 1926 ein gut verdienender Filmkomponist, sein festes Monatsgeld bei der UFA waren 2.000,00 Mark, dazu kamen einige "Trinkgelder", d.h. Sonderzahlungen aller Arten, am besten zahlten, wie er meinte, die Amerikaner.

"Zu dieser Zeit traf ich auch zum ersten Mal Lilian Harvey, ein süßes blondes Pummelchen. Sie war noch ein ganz kleines Mädchen, ohne Starallüren, ein patenter Kerl.

Für die Eichberg-Filmgesellschaft in Berlin drehte Lilian Harvey mehrere Stummfilme. In ihrem Film "Vater werden ist nicht schwer" stellt Heymann die Musik zusammen, der am 30.12.1926 Premiere hatte.

Inzwischen bekam die UFA einen neuen Besitzer, Alfred Hugenberg, und mit ihm sollte sich einiges ändern. Jüdische Angestellte bekamen mehr und mehr Schwierigkeiten und hatten Angst um ihre Stellungen. Auch Heymann war von allerlei Schikanen betroffen, seine Gage wurde fast um die Hälfte reduziert.

"Ich ging darauf nicht ein, nahm meinen Hut und verließ trauernd die Fleischtöpfe der UFA."

Wieder hatte Heymann Glück. Er bekam einen Auftrag beim Deutschen Theater in einem Stück "Artisten" von George Waters und Arthur Hopkins. Es war eine große Fülle musikalisches Material zu sichten und zu bearbeiten, außerdem war Heymann für die musikalische Leitung vorgesehen. Der Geschäftsführer des Theaters stellte Heymann vor die Wahl, ein Honorar von 3.000,00 Mark oder ein zwei Prozent Tantiemen, wozu ihm der Herr Dr. Klein, der Geschäftsführer riet.

"Ich probte viele Wochen lang und sah zum ersten Mal Max Reinhardt bei der Arbeit. Die bestand größtenteils aus geflüsterten Alleinunterhaltungen mit den Schauspielern, die wie gebannt an seinem Mund hingen, während er ruhig mit ihnen sprach. Nur manchmal, wenn er einem Schauspieler etwas vormachte, fuhr es wie ein Blitz durch seinen Körper."

Für die Produktion "Artisten" hatte W. R. Heymann nur ein eigenes Lied zu komponieren, wie er selber sagte, ein "gewollt schmalziges, übersentimetales" Lied, das er seinem Texter Marcellus Schiffer in der Kantine des Deutschen Theaters mehr oder weniger vorimprovisierte. Trotz des "idiotischen Textes" gefiel Max Reinhardt das Lied – und es wurde "ein Welterfolg". Heymann hatte erstmals in seinem Leben so etwas wie einen Schlager geschrieben.

Kennst du das kleine Haus am Michigansee?
Dahin fuhren wir zwei
einst im Mai.
Und lag noch der Schnee
auf dem kleinen Haus am Michigansee,
schuf die Liebe uns zwei
ew´gen Mai.

Da das Stück, nicht zuletzt auch wegen des schwarzen Tänzers Louis Douglas über einhundert mal gespielt wurde, wurden aus den 2% Tantiemen für Heymann immerhin 12.000 Mark!

"Das Lied, das mir soviel Geld einbrachte, hatte den blödesten Text, den ich je komponiert habe"

Wie wahr…

1928 erhielt W. R. Heymann, kurz nachdem er die Musik zu "Artisten" geschrieben hatte, den Auftrag, Musik zu den ersten Tonfilm-Versuchen zu schreiben. Die Firma hieß zunächst noch Triergon und wurde von drei Herren, Masolle, Vogt und Engl geleitet. Die Schallwellen wurden seit ca. 1922 in Lichtimpulse umgewandelt. Es mussten zugleich auch entsprechende Mikrophone und Lautsprecher erfunden werden. Da sich ihr System in Deutschland zunächst nicht durchsetzen konnte, verkauften sie ihre Patente in die Schweiz, von wo aus dann eine Lizenz an die Fox in den USA vergeben wurde. Aus der Triergon St. Gallen wurde dann in Berlin das Tonbild-Syndikat, oder abgekürzt auch Tobis, ein Name, der noch heute für das Filmgeschäft steht.

Nach anfänglichen Kurzfilmen 1929 entstand im gleichen Jahr der erste abendfüllende Tonfilm der UFA "Melodie des Herzens –" zum Teil unter der Mitwirkung von Paul Abraham. Der Film kam in deutscher, englischer, französischer und ungarischer Sprache heraus, aber auch als Stummfilm, weil viele Kinos noch keine aufwendigen Tonapparate hatten. Der zweite Tonfilm der UFA war "Liebeswalzer", hier nun ausschließlich mit der Musik Heymanns und dem bekannten Titel Du bist das süßeste Mädel der Welt, Uraufführung war 1930 im Berliner Gloria-Palast. Mit diesem Film war wohl das neue Genre Tonfilmoperette begründet und das Traumpaar des deutschen Films gefunden: Lilian Harvey und Willi Fritsch – und sie sollten es lange bleiben.

Vom 17. Juni bis 31. Juli 1930 produzierte man in Babelsberg schließlich den vorerst erfolgreichsten, und nun offiziell als Tonfilmoperette titulierten Film "Die Drei von der Tankstelle". Erstmalig hatte Heymann seinen besten und wichtigsten Textdichter, Robert Gilbert bei sich, und schon purzelten die Ohrwürmer aus dem Füllhorn: Liebling, mein Herz lässt dich grüßen, Ein Freund, ein guter Freund, Hallo, du süße Frau

In Frankreich lief der Film unter dem Namen "Le Chemin du Paradies" und er musste, wie alle anderssprachigen Fassungen neu gedreht werden, zum Teil mit anderen Filmstars, da seinerzeit noch keine Synchronisierung des fertigen Filmes möglich war. Dass Heymanns französisch gesungenen Filmschlager in Frankreich genauso populär waren wie in Deutschland, sollte sich später noch als sehr segensreich erweisen.

Im nächsten Film "Ihre Hoheit befiehlt" schufen Gilbert / Heymann einen neuen Hit: Du hast mir heimlich die Liebe ins Haus gebracht. Im April 1931 heiratete Heymann, nachdem er sich mit seiner Frau und einem befreundeten Ehepaar "überkreuz" verliebt hatte, die Sängerin Ilse Bachmann. Im schneidigen Sportwagen – Geld spielte ja nun keine Rolle mehr – ging es auf Hochzeitsreise nach Monte Carlo. Hier wollte der Komponist für den neuen Film "Bomben auf Monte Carlo" musikalische Studien treiben. Vom Produzenten Pommer bekam er den Auftrag einen französischen Marinemarsch zu schreiben. Den Text verfasste wieder Robert Gilbert mit seinem Das ist die Liebe der Matrosen, im Film gesungen von den Comedian Harmonists; auch die französische Fassung spielten sie ein: Voilà les gars de la marine, sie wurde so populär, dass sie bald als inoffizielle Hymne der französischen Marine wurde. In "Bomben auf Monte Carlo" spielte zum ersten Mal Hans Albers in einem Heymann-Film mit, der nächste wurde "Der Sieger" mit dem typischen Albers-Titel Hoppla, jetzt komm ich. Auch dieser wurde - wie alle anderen Titel bis 1932 – von den Comedian Harmonists auf Schallplatte aufgenommen.

Ein großer Wurf, um nicht zu sagen: das Ereignis des Jahres 1931 war jedoch der Film "Der Kongreß tanzt", wieder mit dem inzwischen auch privatem Traumpaar: Harvey / Fritsch. Der geniale Liedtitel darin Das gibt´s nur einmal, das kommt nicht wieder musste immer wieder als Leitmotiv für die goldene UFA-Zeit herhalten. Als die beiden Autoren den Song fertig hatten, konnten sie es nicht glauben, dass es ihn nicht schon vorher gab, so archetypisch war er geraten. Und Pommer meinte, als Heymann ihm den neuen Titel vorgespielt hatte, lakonisch: "Das ist wunderbar, aber woraus ist das?" In die Filmgeschichte eingegangen ist die ohne jeden Schnitt gedrehte Kutschfahrt (Kamera: Carl Hoffmann) und dem live aufgenommenen, aber unsichtbaren UFA-Orchester unter der Leitung des Komponisten. "Der Kongreß tanzt" war der erfolgreichste Film des Jahres 1931 und er war der Kassenschlager.

Hört man Heymanns Evergreens aus jenen Jahren und sieht man die heiteren und unbeschwerten Tonfilme dazu, dann kann sich schwer die tatsächlichen Umstände der Jahre vorstellen: Arbeitslosigkeit, politische Unruhen von rechts und links, Kriminalität und Radikalisierung. Trotzdem drehte die UFA einen Unterhaltungsfilm nach dem anderen: "Ein blonder Traum", "Ich bei Tag und Nacht", "Quick", "Der Sieger" – alle 1932 und Musik immer von W. R. Heymann.

Die Stärke jener Filme mag trotz alledem in der Tatsache liegen, dass die Autoren die Sehnsucht nach der Verbesserung der Umstände als Wunsch belassen, und somit eine "spielerische Balance" zwischen Ideal und Wirklichkeit erhalten bleibt. Und genau dies musste nach 1933 als undeutsch beseitigt werden.

Zu Beginn des Jahres 1933 war Heymann ohne Frage der erfolgreichste Filmkomponist. Die Schlager seiner 10 Tonfilmoperetten (innerhalb von drei Jahren entstanden!) wurden quasi in allen Tanzkapellen gespielt. Im Januar ging es zu Außenaufnahmen zu "Saison in Kairo", und Heymann reiste mit, um sich von ägyptischer Folklore inspirieren zu lassen. Als man Ende März nach Berlin zurückkam, hatten sich die politischen Verhältnisse grundlegend geändert.

Schon einen Tag nach der Rede des Propagandaministers am 28. März zur Zukunft des deutschen Films beschloss der Vorstand der UFA, sämtliche Verträge mit jüdischen Mitarbeitern, unter ihnen Erich Pommer und Erik Charell, aufzulösen. W. R. Heymann schien ihnen noch unverzichtbar und ihm wurde unter windigen Argumenten eine Weiterbeschäftigung zugesichert.

Als Heymann von der Entlassung seiner jüdischen Kollegen erfuhr, verließ er am 9. April 1933 Berlin mit Wohnung und allem Besitz. Auf seiner Polizeilichen Abmeldung steht "Auf Reisen", um den wahren Grund zu verschleiern: er war auf der Flucht. Im Sommer 1933 startete der Film "Saison in Kairo" in den Kinos. Der Name des Filmkomponisten wird nicht mehr genannt, ebenso, wenn noch der ein oder andere vielgesungene Titel im Radio erscheint. Ab 1935 waren alle Melodien Heymanns ohne Ausnahme verboten.

Zäsur –

Mit Heymann floh praktisch die musikalische Elite Deutschlands, ein Exodus von unvorstellbarem Ausmaß, hier nur einige Namen:

Paul Abraham, Friedrich Hollaender
Kurt Weill, Hanns Eisler
Walter Jurmann, Bronislaw Kaper
Mischa Spoliansky, Franz Wachsmann…

Heymanns kongenialer Textdichter, Robert Gilbert ging nach Wien, später in die USA. Beide trafen erst nach dem Krieg in Deutschland wieder zusammen. Auch Heymanns unerlässlicher Produzent Erich Pommer war in die USA gegangen.

Zu Heymanns Grundeigenschaften gehörte sein schier unbesiegbarer Optimismus. Im Exil notiert er in sein Tagebuch:

"Gehe nach Paris – Erste große Operette "Florestan I. Prinz von Monaco" nach dem Buch von Sacha Guitry – Erstes Engagement nach Hollywood zur CENTFOX: Caravan, Regie Erik Charell – Zurück nach Paris und London – In Paris zweite Operette in den Bouffes Parisiens: "Trente et quarante", Buch von Fodor und de Letraz – Maurice Chevalier-Film in London."

Es war ein Glück für Heymann, dass viele seiner Titel auf Französisch verbreitet waren und in seinen neuen Projekten sein bisheriger Star Henry Garat auftrat. Seine Melodien Amusez-vous und Margot wurden geradezu Gassenhauer, welch ein Balsam mag dies für den heimatlos gewordenen UFA-Komponisten gewesen sein. Schließlich erhält er 1934 eine Einladung nach Hollywood, die er mitsamt gut dotierter Verträge gerne annimmt.

Doch ab 1935 wendet sich die Erfolgsspur. Die Tantiemen aus Österreich lassen nach, seine Erfolgsoperette in Paris dümpelt dahin und wird schließlich abgesetzt. Die politische und wirtschaftliche Lage lässt wenig Hoffung auf Besserung zu. Die Ehefrau Ilse erkrankt, eine teure Operation wird nötig. Auch der zweite Versuch einer Operette in Paris "Trente et querante" bringt keine Wende zum Besseren. Für Emigranten wird es nun auch im Ausland ungemütlicher.

"1936 zurück in Hollywood, komponiere Musik zu über 40 Tonfilmen, darunter sechs bei ernst Lubitsch, darunter "Rendezvous nach Ladenschluß" und "Ninotschka" – Lerne wunderschöne dritte Frau kennen, was zur Ehe ührt."

Das klingt euphorisch, aber in Wahrheit konnte Heymann September 1936 bis Ende des Jahres 1938 gerade mal an drei Filmen mitwirken, er war 1936 eben zu spät nach Hollywood gekommen, die anderen emigrierten Filmgrößen wie Friedrich Murnau, Lilian Harvey oder Marlene Dietrich hatten das Gagengefüge noch kräftig nach oben heben können. Schon drei Jahre später war der Markt gesättigt.

"Ich befinde mich momentan in einer absolut verzweifelten Lage."

Als Hitler in Österreich einmarschierte, fielen die letzten Tantiemen von dort weg. Aber 1939 verbesserte sich die Lage etwas, mit dem schon erwähnten Film "Ninotschka" (mit der "Göttlichen" Greta Garbo), doch bekam er nie eine feste Anstellung, sondern musste sich mit den jeweiligen Filmgesellschaften MGM, Paramount oder Columbia Einzelverträge aushandeln. Seine kompositorische Arbeit bezog sich vorwiegend auf "Hintergrundmusik", Filmschlager hat er in den USA nicht mehr geschrieben. Allerdings soll Greta Garbo den "Ninotschka-Walzer" sehr geschätzt und ihn sich öfter privat vorgespielt haben lassen.

1940 erhielt Heymann die amerikanische Staatsbürgerschaft und konnte sich damit auch in der ASCAP, einer amerikanischen Verwertungsgesellschaft einschreiben lassen. Seine nun folgenden Filmmusiken für Lubitsch galten "That uncertain feeling" (1940) und "To be or not to be" (1941), bei uns in den 60er Jahren ein Kultfilm! Mit Harry Joe Browns "Knickerbocker Holiday" (1943) erreichte Heymann bereits seine dritte Oscar-Nominierung.

Trotz seiner erfreulichen Holywood-Erfolge blieb Heymann das amerikanische Sprachidiom eher fremd, vielleicht auch das der Grund, dass so wenige Lieder mit amerikanischen Texten geschrieben wurden, das Französische lag ihm da schon wesentlich näher…

Ob es eine Legende ist, dass zu den verschiedenen Siegesparaden am Ende des Weltkrieges Heymanns Melodien gespielt wurden: Das gibt´s nur einmal in New York, Margot auf den Champs Elysées und schließlich wieder der UFA Schlager durch die siegreichen Sowjets vor dem Bahnhof Zoo? Wenn ja, dann ist es eine schöne Legende. Versöhnlich für Heymann, dass auch seinen Brüdern Hans und Kurt die Flucht aus dem Nazi-Deutschland gelungen war und dass ihm die Quälereien der McCarthy-Ära und ihren antikommunistischen Denunzierungen erspart blieben, nicht so wie z.B. Brecht, Eisler, Thomas und Heinrich Mann, um nur einige zu nennen.

1947, zum siebten Hochzeitstag verliebte sich seine Frau in einen der Festgäste nd somit ging auch die dritte Ehe Heymanns in die Brüche.

1951 kam ein Angebot aus München, das Heymann freudig annahm. Er wagte einen weiteren Neuanfang nach 16 Jahren im Exil, die mit insgesamt 44 Filmmusiken und insgesamt 4 Oscarnominierungen so erfolglos auch nicht waren.

Europa hat ihn wieder. Er fährt nach Paris, Zürich, besucht alte Freunde und Mitarbeiter von früher. Kaum in München lernt er das Team eines neu geplanten Filmes kennen und verliebt sich sogleich in die Schauspielerin der Hauptrolle, Elisabeth Millberg. Eine gemeinsame Autofahrt geht Richtung Alpen.

"Ich habe sofort nach der Ausfahrt aus München, als die Gegend anfing, salzburgisch zu werden, mein erstes neues Lied geschrieben"

Zu den ersten internationalen Filmfestspielen in Berlin-West dirigiert Heymann ein Potpourri seiner UFA-Schlager unter dem Berliner Funkturm vor 25.000 Zuhörern. Das Echo in der Presse ist groß, alle wollen ihn sehen und sprechen. Doch Heymann ist vom Anblick des kriegszerstörten Berlin deprimiert.

"Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass man in einer Stadt, in der man (…) zwanzig Jahre gelebt hat, auf einer Hauptstraße stehen kann und keinerlei Ahnung hat, wo man sich befindet. Die Häuser, die ich kannte, standen nicht mehr, und die Häuser, die noch standen, kannte ich nicht mehr. Ich war am ersten Abend auf dem Kurfürstendamm und glaubte mich in einer fremden, völlig gespenstischen Stadt. Ich wusste nicht einen Menschen, den ich hätte anrufen können."

1954 fasst Heymann in der "Autobiographie im Telegrammstil" seine ersten Jahre wieder in Deutschland folgendermaßen zusammen:

"1951 zurück nach Europa – Lerne allerschönste, wunderschönste Wienerin kennen, was nicht nur zur Ehe, sondern auch zu einem himmlischen Menschenkind führt – Schreibe Musik zu Filmen, u.a. "Heidelberger Romanze", "Alraune", außerdem zu zahlreichen Dokumentarfilmen des American State Department, dazwischen die Chansons von der Bühnenfassung zu Heinrich Manns "Professor Unrat = Blauer Engel"; Uraufführung in München (Kleine Komödie) – Pfingsten 1954 Uraufführung musikalisches Lustspiel "Kiki vom Montmartre" am Württembergischen Staatstheater Stuttgart; dann Sivester-Premiere unter Leo Mittlers Regie am Thalia-Theater in Hamburg."

Alte Freunde der Emigration sind auch zurückgekommen und verkehren im Hause Heymann: Erich Pommer, sein früherer Produzent, Walter Mehring, sein wichtigster Textdichter der Kabarettjahre oder Friedrich Hollaender, mit dem die Tochter Elisabeth sich in der Körpergröße zu messen versucht. Andere Freunde und Kollegen, die in Deutschland blieben, kehren auch wieder zu ihm zurück: Hans Albers und Willi Fritsch, beide auch Protagonisten der frühen 50er Filmjahre in Deutschland. Mit Trude Hesterberg, aus Berlin gekommen, arbeitet nun fast die ganze Mannschaft der Wilden Bühne wieder zusammen. In den Liedern zu "Professor Unrat" singt "die rote Trude" nun eine Oktave tiefer und in selbstironischem Ton: "Mir liegen die älteren Jahrgänge …".
Robert Gilbert, der unerlässliche Text- und Ideengeber ist wieder da und schreibt die Texte zu Lied vom einsamen Mädchen oder Heut gefall ich mir. Es entstehen wieder Blüten der Kabarettkunst, wie "Es ist ja gewöhnlich der Kahlere beim Zahlen der weitaus Pauschalere".

Doch das Nachkriegskabarett ist dem der Wilden Bühne nicht mehr vergleichbar. Auch das Publikum hat sich gewandelt. Die spitzfindigen Doppeldeutigkeiten werden nicht mehr gebraucht, besser: nicht mehr verstanden – oder man will sie einfach nicht mehr? Die Aufmüpfigkeit spielt sich nicht mehr im Chansonrahmen ab, die junge Generation drängt nach Coca Cola und Rock´n Roll, amerikanische Muster sind gefragt.

Als noch immer amerikanischer Staatsbürger darf Heymann nicht in Deutschland wohnen, um hier sein Geld verdienen zu können (vorzugsweise in den Münchner Bavaria-Filmstudios), also verlegt er seinen Wohnsitz nach Salzburg und "pendelt". 1957 erhält er wieder die deutsche Staatsbürgerschaft. Um seine Eignung zum Deutschen unter Beweis zu stellen, verlangt der Rathausbeamte nach einem Deutschen Volkslied. Heymann singt "Das gibt´s nur einmal, das kommt nicht wieder" – ganz offensichtlich zur Zufriedenheit des Beamten.

Ein anderes Phänomen hindert Heymanns Entfaltungsmöglichkeiten. Die deutschen Kollegen, die 1933 ihr Land nicht verlassen mussten und an Stelle der jüdischen Komponisten und Musiker in das Vakuum gestoßen sind, sind unübersehbar vorhanden und denken nicht daran Platz zu machen. Wie viele, sagen wir vorsichtig: zweitrangige Musiker, Komponisten wie Dirigenten nahmen in den frühen 50er Jahren Positionen ein, die sie in einem regulären Wettstreit mit jüdischen Kollegen nie erreicht hätten! Einmal da, ließen sie sich nicht verdrängen.

Es ist ein Zeichen Heymannscher Lebensgröße, dass er diesen Umstand erkannt, aber nie beklagt hat. Sein Münchner Zuhause war ein stetes Kommen und Gehen großer und Berühmter Künstler: Erich Wolfgang Korngold, Fritz Rotter, Erich Pommer, Paul Abraham, Walter Mehring, Franz Waxmann, Robert Jungk, Georg Kreisler, George Tabori, Willi Forst, Werner Egk, Marianne Hoppe, Helen Vita und natürlich seine Artgenossen Mischa Spoliansky und immer wieder Friedrich Hollaender.

Nach einer Fernsehsendung über jugendlichen Antisemitismus – nicht 2011 sondern 1960! – schrieb er an Eugen Kogon:

"Mein Beruf bringt es mit sich, ein sehr feines Gehör zu haben und auch einen stark ausgeprägten, sozusagen sechsten Sinn für Dinge, die das Publikum bewegen. (…) Und dann möchte ich Sie etwas fragen: Glauben Sie nicht, dass es an der Zeit ist, dass man die deutsche Jugend überhaupt einmal darüber informiert, wer und was die Juden sind? Glauben Sie nicht, dass es an der Zeit ist, sie über ein paar der gröbsten Lügen, die wir deutschen Juden damals mehr oder weniger verteidigungs- und hilflos hinnehmen mussten, aufzuklären? Einer der Übeltäter wusste, dass Einstein, Mendelssohn, Heine und Tucholsky Juden waren. Weiß er, dass unter anderen Christus, Spinoza, Karl Marx, Sigmund Freud, Georges Bizet, Gustav Mahler, Max Liebermann (die Reihe ließe sich fortsetzen) ebenfalls Juden waren? Derselbe Delinquent sagt, dass die deutsche Wirtschaft von Juden beherrscht worden sei. Hält er Krupp, Thyssen, Stinnes etc. für Juden? Sie verstehen, was ich meine. (…)
Wir Juden, die heute wieder in Deutschland leben und wirken, tun das aus Liebe zu diesem Land. Die meisten von uns wären auch im Ausland nicht verhungert."

Am 14. Februar 1961 feierte W. R. Heymann noch seinen 65. Geburtstag im großen Kreis seiner Freunde. Am 30.Mai starb er in München an den Folgen eines Schlaganfalles, den er kurz vor seinem Tod noch selbstironisch als "Schlageranfall" bezeichnete. Sein kongenialer Texter und Freund Robert Gilbert hielt die Trauerrede, darin sagte er:

"Musik, Melodie – das war sein Leben; und die Menschen, die er geliebt hat, sie waren zärtlich einbezogen in diesen Grundakkord seines Wesens."

Und am Schluss kommt ein Satz, der Heymanns besondere Begabung treffend beschreibt:

"Musik und Wort lebten in ihm in unlöslicher Verbrüderung, und wenn er Rilke und andere Dichter auswendig zitierte, dann stand dennoch keine der beiden Musen der anderen nach, und man hatte das unbedingte Gefühl: Dies ist ein Mann, bei dem die Musik der Liebe – auch zur Dichtung – Nahrung gibt."
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