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Theresienstadt, die schönste Stadt der Welt! -
Chansons und Satiren

Einführung:

Kaffeehaus-Ticket

Seit 2006, dem Jahr der Erstaufführung unseres ersten Programms zum Kabarett in Theresienstadt, wurde zu diesem Thema einiges losgetreten. So kam z.B. 2009 das Buch "Theatertexte aus dem Ghetto Theresienstadt" von Lisa Peschel auf den Markt. Hierin eine Sensation: wieder aufgefundene Texte vom besten Kabarett-Texter aus Theresienstadt, Leo Strauss, und eine bislang gänzlich unbekannte Größe: Felix Porges, der das zweite und bislang nicht bekannte tschechische Kabarett leitete. Von ihm sind - und das ist die größte Sensation des Buches - nicht weniger als vier Lieder in Notenfaksimile abgedruckt! Die ins Deutsche übersetzten Porges-Lieder bilden somit einen Schwerpunkt in unserem neuen Kabarett-Programm.
Ein anderer aus Theresienstadt, Walter Lindenbaum, wurde mit dem Druck seiner Gedichte ("Vor Sehnsucht wird man hier nicht fett") von 1998 schon vor einiger Zeit geehrt. Die Melodien zu seinen Kabarett-Nummern ließen sich langsam aber sicher rekonstruieren (es waren durchwegs Lieder-Parodien), und eine Melodie, die vom "großen Brehm", sang uns eine 90 jährige Zeitzeugin aus Theresienstadt vor: Grete Lendvay.

Erstaufführung:

Konzert von musica reanimata am 23.9.2010 im Musikclub des Konzerthauses Berlin am Gendarmenmarkt
Winfried Radeke im Gespräch mit Helga Kinsky.

Interpreten:
Manfred Schmitt - Klavier,
Timofej Sattarov - Bajan,
Martin Genschow - Kontrabass,
Maria Thomaschke und Andreas Jocksch - Gesang, Texte

Programm:

mp3Es lebe das Kabarett
("Sie sollten lachen gern...")
Text: P. Stránský, F. Porges,
Melodie: F. Porges,
dt. Text & Satz: W. Radeke
Theresienstadt, die schönste Stadt der Welt Text: Th. O. Beer,
Musik: R. Sieczynski
Die Menage kommt Text: L. Strauss,
Musik: O. Straus
Gedicht: Schlimme Zeit Leo Strauss
mp3Hony soit qui mal y pense
("Ein Schuft, der Böses dabei denkt...")
Text: Unbekannt,
Musik: W. W. Goetze
mp3Wo i geh und steh Text: W. Lindenbaum,
Musik: J. A. Schosser
Die Kuh Text: H. Hofer,
Musik: A. M. Werau
Kasernenlied Text: M. Greiffenhagen,
Musik: M. Roman
Text: Ein Abschiedsbrief Paul Blum
Ich glaub, ich bin nicht ganz normal Text: L. Taufstein, H. Hofer
Musik: A. Berg
Andalusische Nächte Text: P. Stránský,
Musik: F. Porges,
dt. Text & Satz: W. Radeke
Einsam Text: P. Stránský,
Melodie: J. Felix = F. Porges,
dt. Text & Satz: W. Radeke
mp3In einem kleinen Café in Terezin Text: W. Lindenbaum,
Musik: H. Leopoldi
Die Thermosflasche Text: H. Hofer,
Musik: O. Reutter
Der große Brehm Text: W. Lindenbaum,
Melodie mündl.: Grete Lendvay,
Satz: W. Radeke
Reco Text: Th. O. Beer,
Musik: R. Benatzky
Gedicht: Klein ist unsre Welt geworden Leo Strauss
Heimweh Text: Unbekannt,
Melodie: A. Strauß,
Satz: W. Radeke
Die gelben Fleckerln Text: W. Lindenbaum,
Musik: F. Spielmann, St. Weiß
mp3Trommel-Lied Text: Unbekannt,
Musik: W. R. Heymann
mp3Couplet
("Jetzt ist alles aus, vorbei...")
Text und Melodie: F. Porges,
dt. Text und Satz: W. Radeke

Theresienstadt, die schönste Stadt der Welt -
Anmerkungen von Winfried Radeke

Am 16.3.2006 widmete sich musica reanimata in seinem 70. Gesprächskonzert dem Thema "Kabarett in Theresienstadt". Die beiden Protagonisten Maria Thomaschke und Andreas Jocksch hatten mit Winfried Radeke (Konzeption, Arrangements und Leitung) ein Programm erarbeitet, das im Wesentlichen auf den Texten des Buches "Und die Musik spielt dazu" - Chansons und Satiren aus dem KZ Theresienstadt von Ulrike Migdal (1986) aufgebaut war. Mehr als 20 mal wurde das Programm inzwischen wiederholt, in Berlin und anderen Städten, auch in Theresienstadt, Tel Aviv und Jerusalem.

Im Jahr 2008 erschien ein Buch mit bis dahin meist unbekannten Theatertexten aus Theresienstadt von Lisa Peschel: Theatertexte aus dem Ghetto Theresienstadt 1941-1945. Hier ist eine große Fülle von Textmaterial zu finden. Die eigentliche Sensation aber sind die erst 2005 aufgetauchten Texte des so genannten II. Tschechischen Kabaretts und mit ihnen der Name eines bislang unbekannten Texters und Komponisten: Dr. Felix Porges. 1941 wurde Porges nach Theresienstadt deportiert. Die Sängerin und Schauspielerin Elly Bernstein war 1942 auch nach Theresienstadt deportiert worden. Hier war sie am Theaterleben aktiv beteiligt, u.a. spielte sie die Titelrolle im legendären Ghettomädel. Am 26.12.1943 heirateten Felix Porges und Elly Bernstein-Porges, beide traten im tschechischen Kabarett, aber auch im deutschsprachigen Ensemble des Ehepaares Strauss auf. Ein weiterer Autor im Porges-Ensemble war Pavel Stránský, der heute noch lebt, sich aber an seine Kabarett-Texte nicht mehr erinnern kann (oder: will). Porges hörte seine Kabarett-Lieder nie auf einer Theresienstädter Bühne, da er noch 1943 nach Auschwitz verschleppt wurde. Sechs Monate lebte er im sog. Familienlager Auschwitz-Birkenau, dann einige Monate der Zwangsarbeit im Lager Schwarzheide. Er überlebte einen schrecklichen Todesmarsch mit tausend Häftlingen, bei dem mehr als zwei Drittel umkamen. Am 7. Mai 1945 erreichten sie ihr Ziel: Theresienstadt. Felix und Elly wurden befreit. Sie kehrten nach Prag zurück und änderten ihren Namen auf Prokes. Keiner der beiden arbeitete nach dem Krieg je wieder fürs Theater.

Torn-Kabarett

Im Buch von Lisa Peschel finden sich zwei Theaterstücke, Die Rundfunksendung und Das II. Tschechische Kabarett. In letzterem finden sich die meisten Lieder von Felix Porges, meist auf Texte von Pavel Stránský.
Das I. Tschechische Kabarett von Karel Svenk war das "politische" und besonders sein 3. Programm Der letzte Radfahrer war für alle Zuhörer mehr als deutlich in seiner Aussage: der Spruch "Die Juden und die Radfahrer sind an allem Schuld" war ein viel zitierter Satz schon seit den Tagen der Weimarer Republik. Jedoch das II. Tschechische Kabarett des Felix Porges arbeitete vorsichtiger, es nannte sich Lachen Sie mit uns (Smejte se s námi) und schloss inhaltlich eher an die deutschen Gruppierungen, etwa des Hofer-Kabaretts mit Lach dich gesund oder des Torn-Kabaretts Dreierlei Humor an.
Bedeutungsvoll ist der Fund im Peschel-Buch aber besonders wegen des Abdrucks von sechs (einstimmig notierten) Liedern aus der Feder Felix Porges´. Außer dem Lied der Jugend und dem Lied über Prag, welche wir in unserer Aufführung nicht berücksichtigen, finden sich ein Tango Andalusische Nächte und ein melancholischer Slowfox Einsam. Diese Liederfunde sind schon deshalb bedeutsam, weil es fürs Theresienstädter Kabarett sonst keine direkten Notendokumente gibt (die Lieder Martin Romans wurden von diesem nach Theresienstadt aus dem Gedächtnis aufgezeichnet). Dass die Autoren Porges/Prokes und Stransky die ihren nach dem Krieg vergaßen, ist nach dem erlebten Grauen mehr als verständlich. Die zwei genannten Lieder mögen streng genommen keine Kabarett-Lieder sein, für die beiden folgenden aber trifft dies umso mehr zu.

Zunächst: Es lebe das Kabarett.
Das war das Eröffnungslied für das Programm des II. Tschechischen Kabaretts und ist es auch für uns heute. Die Endungs-Sentenz darin:

...ein Happy End erleben sie nur hier.

mag damals als trotzige Durchhalte-Parole gegolten haben, heute sorgt sie beim Zuhörer doch eher für eine Gänsehaut.

Der zweite Titel Couplet ist in unserem Programm das Schlusslied. Mag sein, dass der Textautor Porges diesen unverfänglichen Titel wählte, um die Zensur nicht sofort auf den Plan zu rufen, denn im Refrain des "Couplets" heißt es ziemlich deutlich:

Jetzt ist alles aus, vorbei,
Alles, was zu sagen sei,
Wurde schon gesagt...
Ohne Lärm hat sich´s getrollt,
Nein, der Teufel hat´s geholt,
Hat den Spuk verjagt.

Was sich da getrollt hat, muss nicht gesagt werden, jeder weiß es - aus diesem Stoff sind Kabarett-Texte. Und dann wird ein unbeschwertes Bild der Zukunft gemalt, in der es dann nur noch heißen kann:

Sehr bald scheint allen Leuten unvorstellbar,
Dass hier zu leben überhaupt möglich war.
Und in hundert Jahren zählt,
Wenn es weiß die ganze Welt,
Unser Lachen nur...

Hier nimmt Porges direkt Bezug auf "die heimliche Hymne" des Theresienstädter Marsches von Karel Svenk

...und auf den Ghettotrümmern lachen wir uns schief.

Hier noch ein Wort zum Text in eigener Sache. Das tschechische Original der vier Porges-Lieder werden wir nicht bieten können, aber auch die im Buch von Lisa Peschel abgedruckte deutsche Übersetzung von Michael Wögerbauer nicht. Jeder, der sich mit Übertragungen vom Tschechischen ins Deutsche befasst hat, kennt das Problem: im Tschechischen gibt es wesentlich weniger Silben. Will man den Text ins Deutsche und auf die beibehaltene Melodie transportieren - noch dazu mit Reimen wie im Original - muss man sprachliche Kompromisse eingehen. Es entsteht ein Text, den man ohne die genannten Sachzwänge so nicht verfasst hätte. Eine zwingende Logik erschließt sich (hoffentlich) dann erst durch das gesungene Wort. Ein Chanson sollte ja immer so beschaffen sein, dass der Zuhörer fühlt: "so und nicht anders".

Walter Lindenbaum Einen weiteren Schwerpunkt in unserem neuen Programm bilden die Lieder mit Texten von Walter Lindenbaum. Wir kennen seine Parodie auf den Schlager Und die Musik spielt dazu, die den Titel zum o.g. Buch von Ulrike Migdal lieferte und in unserem ersten Programm das Eingangslied ist. Walter Lindenbaum war vor seiner Deportation nach Theresienstadt ein viel gelesener Dichter der Wiener Szene der 30er Jahre. Er war u.a. Hausdichter des Kabaretts ABC im Regenbogen neben Hans Weigel, Jura Soyfer oder Rudolf Spitz. Darüber hinaus lieferte er viele Beiträge in der sozialdemokratischen Presse, z.B. in der Arbeiterzeitung. Er engagierte sich in der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller wie in der konstituierenden Generalversammlung des Bundes junger Autoren Österreichs. Am 26.12.1933 heiratete er in der Synagoge im 20. Wiener Gemeindebezirk Rachel Liebling.
Nach der Niederlage der österreichischen Arbeiterbewegung im Februar 1934 flüchteten viele Mitglieder der "Vereinigung" ins rettende Ausland. Walter Lindenbaum blieb in Wien. Er versuchte sich mit Reportagen über Wiener Themen finanziell über Wasser zu halten. Immer interessierten ihn in seinen Gedichten Arbeiter, Schuhputzer, Bettler, Hofsänger - das tägliche Straßenbild in der Zeit der Arbeitslosigkeit. Im Jahr 1938 erlebte er als "Blitz-Dichter" und "Geburtstags-Feierer" der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde den Nazieinmarsch in Österreich.
1943 wurde Walter Lindenbaum mit seiner Frau und seiner Tochter Ruth nach Theresienstadt deportiert. Hier versuchte er bei kulturellen Aktivitäten und Kabarettaufführungen an seine Wiener Zeit anzuknüpfen. Es wurden Nummern aus dem "ABC" wieder aufgenommen, aber auch eine große Zahl neuer Dichtungen verfasst. 1944 wurde Walter Lindenbaum nach Auschwitz deportiert, seine Frau Rachel und die Tochter Ruth folgten kurze Zeit später, sie wurden hier ermordet. Walter Lindenbaum musste sich den Strapazen eines Transportes von Auschwitz nach Buchenwald aussetzen und kam später in das berüchtigte Außenlager Ohrdruf in Thüringen, wo die Häftlinge für den Bau eines geheimen Führerhauptquartiers (Deckname "S III") gnadenlos ausgebeutet wurden. In der Häftlingsschreibstube des KZ Buchenwald wurde sein Tod unter der Häftlingskategorie "Politisch Jude" verzeichnet, gestorben am 20. Februar 1945 im Außenlager S III.

Alles, was von Walter Lindenbaum erhalten ist, findet sich in dem Buch Von Sehnsucht wird man hier nicht fett, herausgegeben von Herbert Exenberger und Eckart Früh (Mandelbaum-Verlag, 1998). Einige Gedichte wurden mündlich von Überlebenden wie zum Beispiel Grete Lendvay überliefert. Sie sang uns die Melodie vom Großen Brehm vor, an die sie sich als damalige Bedienung im Theresienstädter Kaffee-Haus noch erinnerte. Wer diese Melodie verfasste, das wusste die 90 jährige Dame natürlich nicht mehr. Bei den anderen Melodien zu den Lindenbaum-Texten kennen wir bezüglich der Melodien die Original-Versionen, wie den "Erzherzog-Johann-Jodler" für Wo i geh und steh, dort schaufeln Juden Schnee - oder "In einem kleinen Café von Hernals" von Hermann Leopoldi für In einem kleinen Café in Terezin - oder die beliebten "Schinkenfleckerln" von Fritz Spielmann für Die gelben Fleckerln - alles Wiener Meisterwerke der gepflegten Unterhaltungsmusik. Das gleiche gilt für das Hans-Hofer-Lied Die Kuh, die die Melodie des damals bekannten Chanson "Von was leben die Leut?" mit der Musik von Artur M. Werau verwendet.

Die Fledermaus Hans Hofer - einer der führenden Köpfe im Theresienstädter Kabarett. Mit seiner Frau Lisl Steinitz, einer Soubrette aus Wien, trat er in verschiedenen Programmen (mit eigenen Texten) auf, assistierte Kurt Gerron bei den Dreharbeiten zu dem berüchtigten Propagandafilm Theresienstadt - Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet und führte Regie in der Operette Die Fledermaus. Hier trat er auch als Frosch auf (seine Frau gab den Orlovsky). Das Ehepaar Hofer überlebte Auschwitz, Kaufering-Allach und Mauthausen. Nach kurzer Tätigkeit für die Jüdische Kultusgemeinde in Prag trat Hans Hofer in verschiedenen tschechischen Theatern auf, ab 1960 in deutschen, zuletzt in Rostock in der DDR. Die Texte der Hofer-Revuen sind fast ausschließlich als Parodien auf bekanntere Melodien gesungen worden, Operetten, Schlager, Chansons; so z.B. auf die Arie "Mein Herr Marquis" aus der Fledermaus eine kabarettistische Verhöhnung der infamen "Stadtverschönerung" der Nazis:

(...)
Dann baute man hin in der Eil´ ´nen Pavillon
und brachte rasch hin Geigen und Saxophon
und vierzig Mann Kapelle,
die war´n sofort zur Stelle.
Jetzt hört man hier bei Tag und bei Nacht Prachtkonzert,
und mancher Mann denkt still bei sich, wenn er das hört:
Ja, sehr komisch, hahaha, ist die Sache, hahaha,
drum verzeihn Sie, hahaha, wenn ich lache, hahaha
(...)
Sehr komisch, hihihi
sind die!

Eine Paradenummer für jeden Kabarettisten ist das Chanson Die Theaterkarte, das auf die Melodie des bekannten Couplets Der gewissenhafte Maurer von Otto Reutter gesungen wurde. Erstaunlicherweise hatte sich - trotz erdrückender Konkurrenz eigener Wiener Erfindungen - der Komiker aus dem Norden in den Kabaretts der Wiener 30er Jahre etabliert, wie man aus alten Aufnahmen z.B. von Armin Berg ersehen kann. Der gleiche Kabarettist sang 1931 ein Lied, wie man es nur in Wien erfinden konnte: Ich glaub, ich bin nicht ganz normal. (Text: Louis Taufstein, Musik: Armin Berg). Es muss so bekannt gewesen sein, dass es sich in Theresienstadt ohne weiteres eine neue Strophe von Hans Hofer zulegen konnte:

Ich bin zu Euch hierher gekommen
Ins Ghetto von Theresienstadt,
Weil ich in Prag stets hab´ vernommen,
Dass man hier gut zu essen hat.
Ich freu mich immer wie ein König,
Weil mir so schmeckt das Mittagsmahl,
Auch Nachtmahl hab´ ich nicht zu wenig,
Ich glaub´, ich bin nicht ganz normal.
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